Die Pandemie ist voller Widersprüche und das auf unterschiedliche Weise. In der Pandemie ist
(I) der Widerspruch ein Gegensatzpaar, eine (logische) Unvereinbarkeit
Anfangs sagen Experten, die Maske sei ein unzureichender Schutz. Doch bald darauf widerrufen sie ihre Äußerungen, nun muss die Maske verpflichtend getragen werden, weil sie wirksamer Schutz ist. Kindergärten werden geschlossen, Baumärkte bleiben offen. Mir wird gesagt, dass ich beim Eintragen in Adresslisten auf die guten Absichten der Verantwortlichen vertrauen soll. Später werden die Listen mit meinen Daten von der Polizei in Beschlag genommen. Ich kritisiere die Demonstrierenden der Coronawut für ihr enges Beisammenstehen, aber nicht im gleichen Maße das Zusammenstehen auf den Black Lives Matter-Demonstrationen. Die Infektionszahlen steigen, aber die neuerlichen Todeszahlen steigen nicht im gleichen Maße mit. Obwohl die Eindämmungsmaßnahmen in Deutschland weniger restriktiv als in anderen Ländern sind, sind die Infektionszahlen niedriger als in Ländern, die wesentlich härter einschränkten. Fußballer sitzen mit Abstand auf der Ersatzbank und spielen wenig später ohne Maske Körper gegen Körper. Auf dem Schulhof tragen Kinder Masken, im Klassenzimmer nicht. Die Zahlen steigen, nur ein harter Lockdown kann sie senken, er soll erst in zwei Wochen erfolgen.
In der Pandemie ist
(II) der Widerspruch als Einwand, als widersetzliche Stellungnahme gegen Äuszerungen oder Anordnungen (Grimms Wörterbuch)
Einer legt Widerspruch ein. Er widerspricht einem Artikel, der Äußerung eines Politikers, dem Paper einer Wissenschaftlerin, widerspricht einer Meinung, einem Fakt, vielleicht einem vermeintlichen Konsens. Vielleicht widerspricht er, weil er dem widersprechen will, was er als Mehrheit wahrnimmt.
Sein Widerspruch ist Reaktion, niemals Aktion. Der Widersprechende will gehört werden. Für seinen Widerspruch braucht er ein Gegenüber. Er legt beim Familiengeburtstag Widerspruch ein. Er legt im Gespräch mit Kollegen Widerspruch ein. Einer, der Widerspruch einlegt, schreibt ein Kommentar unter einen Kommentar zu einem Kommentar. Einer schreibt ein Schild. Er nimmt dieses Schild auf eine Demonstration. Dort hält er das Schild hoch. Auf dem Schild steht: »Wir sind die zweite Welle«, »Gegen Impfzwang« oder »Maske macht frei«. Er hält das Schild in Kameras. Er trifft auf Gleichgesinnte, die sein Schild beklatschen und er nickt zu ihren Schildern. Die Widersprechenden teilen sich ihren Widerspruch, sie machen sich damit stark.
In der Pandemie ist
(III) mein Widerspruch
Auch ich lege Widerspruch ein. Ich lege Widerspruch ein gegen Behörden, die meine Adresslisten widerrechtlich benutzen. Ich lege Widerspruch ein, wenn jemand 500€ zahlen soll, weil er auf einer Parkbank sitzt. Ich lege Widerspruch ein, wenn ich höre, welche Operationen verschoben werden müssen. Ich widerspreche, wenn die Maßnahmen, die mir nicht zu funktionieren scheinen, trotzig weitergeführt werden. Ich widerspreche, wenn gegengerechnet wird. Doch bei allem Widerspruch hebe ich kein Schild. Ich kaufe nicht das Buch von Sucharit Bhakdi, ich gehe nicht auf die Straße, ich stürme nicht mit geschwenkten Flaggen auf das Reichstaggebäude zu. Warum tue ich das nicht? Was unterscheidet mich von denen, die das tun?
(IV) Einschub: Kognitive Dissonanz
Das Störgefühl, wenn Wahrnehmung auf eigene Werte treffen, wenn sie sich feindlich gegenüberstehen, der Wunsch, die Störung zu beheben.
(V) Der Kreis schließt sich
Ich weiß es nicht. Ich muss vermuten. Liegt der Unterschied darin, dass ich – bei allem Zweifel, aller notwendiger Kritik – ein grundsätzliches Vertrauen habe in das, was mich umgibt? Bin ich begierig auf Widersprüche? Habe ich Interesse daran? Will ich wissen, wie Widersprüche zustande kommen? Wie sie aufeinander wirken, bedingen sie einander, sind sie notwendig? Ich sehe den Widerspruch – das Gegensatzpaar – nicht als Affront. Der Widerspruch erzürnt mich nicht grundsätzlich
Bei den Erzürnten muss es anders sein. Der Widerspruch muss ihre Zweifel bestärken, die größer sind als ihr Vertrauen. Der Widerspruch treibt sie zur Weißglut.
Vielleicht kann der Erzürnte den Widerspruch nicht aushalten. Er sieht eine auf Austausch angelegte Gesellschaft, die innerhalb von Tagen lahmgelegt ist. Er hört Experten zu, die trotz allen Wissens nichts Festes zusichern können. Er beobachtet die Wissenschaft, die heute widerruft, was sie gestern behauptet hat und die dennoch für sich in Anspruch nimmt, Fakten zu produzieren.
Unerträglich wird ihm die daraus wachsende Ungewissheit, die Hilflosigkeit. Der Widerspruch raubt ihm die Eindeutigkeit. Er kann sich nicht mehr verlassen. Er protestiert. Der Protest der Hilflosen richtet sich an das Schicksal, an die Unvollkommenheit, den ständigen Zweifel. Der Widerspruch der professionell Erzürnten folgt einem Ziel. Sie hatten niemals Vertrauen. Ihr Widerspruch wird Mittel zum Zweck.
(VII) Widerspruch im Widerspruch
Das Virus gibt es nicht. Es ist nicht gefährlich. Es gibt eine Diktatur. Ich protestiere öffentlich gegen diese Diktatur. Es gibt keine rechtsextreme Strömung im Widerspruch. Ich schwenke die Reichsflagge als Zeichen des Protestes.
(sp)