… ich habe gesehen, ich habe gehört,
wie die Stimme des Vogels UNTERGEHT
in einem EGALEN Busch, weil ich
die Augen nicht mehr hatte dafür, lauter EGALE
Büsche und Zweige und Stauden und das EGALE
Mundöffnen der Passanten und das EGALE
Sprechen der Freunde und das EGALE
Zirpen von Weltfülle – alles EGAL,
hatte nicht Augen noch Ohren für Ding
und Wort und Bild und Strauch und Buch
und Blume, und dann die Verlegenheit der anderen,
die einen trösten wollen und sage ihnen
ich habe 1 Leid aber strolchenden Fußes, etc.
Friederike Mayröcker
Das Sterben war früher auch nicht besser,
die Auffassung vom Sterben war anders.
Es war kein Misserfolg.
Es war eine Art Heimkehr.
Ilse Aichinger
Mittlerweile müsste ich geübt sein. Eingeübt in den Tod und seine Begleiterscheinungen. Aber es gibt keine Todes-Übung, man kann sich nicht eingewöhnen, so banal, weil menschlich, er auch ist, man kann ihn nicht bagatellisieren, denn ein Mensch ist keine Bagatelle.
Eine Erscheinung des Todes, ist das Begleiten jener, die nicht mitsterben durften, die noch anwesend blieben und nun verweilen müssen, angesichts des Todes, der alle außer Sprache setzt. Außer Sprache gesetzt können wir, die freundlich zugeneigten Beileidbekundler*innen, auf die Trauerindustrie vertrauen, die mit ihrem professionellen Know-how gerne behilflich ist, wo wir nicht weiter wissen, versagen. Wo wir nicht weiter wissen, gibt es keinen Trost. Nein, der Trost hat es schwer, er ist nicht mehr à la mode, das legt auch des Trostes Wortgeschichte nahe, der Trost verschwindet aus dem aktiven Gebrauch, mit dem Tod, so scheint es, haben wir auch den Trost vor den Stadttoren, weit so weit weg begraben, dass er nur noch eine Schattenexistenz führt, als kleiner oder schwacher, zuletzt als Trostpflaster. Er ist, was am Ende übrig bleibt, wenn wir verloren haben, wenn wir nicht genügen konnten. Der Trost ist der Preis für die Versager, die renitenten Leistungsabweichler, die Pessimierer, die Bedürftigen, denen einfach nicht beizukommen ist, außer mit Trostspenden.
Ein Preis für die Schwächsten ist trostlos und macht zugleich untröstlich. Der auf diese Art und Weise gedemütigte und hinuntergestumpfte Trost, der sich von dem Verdacht falscher und vorschneller Vertröstungen seitens der Religionen nie erholen konnte, ist dem Abarbeiten und Verarbeiten sehr anverwandt. Trauer muss verarbeitet, muss abgearbeitet werden, ganz bürokratisch, ein preußisches Ethos das einst die Tore zu den irdischen Höllen zierte. Auf, auf, in den Steinbruch der Gefühle.
Was bleibt aber vom Trost in einer enttrosteten Welt. Auch dem Tod haben wir alle Sinnstiftung restlos ausgetrieben, die Fragen nach den letzten Dingen, stellen wir so wenig, wie nach den ersten. Die Eschatologie und was Ernst Robert Curtius einst Erlösungswissen nannte, ist uns schnurz. Wo sich Sinn nicht in Geld oder dem neusten Komfort-feeling-Ratgeber ausgedrückt und bestätigt findet, droht er zu verschwinden und dass der Tod, ein ganz ein sinnloser sei, weil er nichts als unsere größte und beschämenswerteste Schwäche aufweist, nämlich ekelhafte Sterblichkeit, ist längst zum Gemeinsinn geronnen. Der Tod macht das Licht aus und fertig. Es ist kaum mehr möglich, dem Lebenskreis einen Sinn zu stiften, ihn sinnvoll zu begründen. Zwischen Geburt und Tod vollzieht sich die Nichtigkeit unserer Existenz, wir werden geboren, wir sterben und dazwischen vollzieht sich etwas, unser ich, dazwischen vollziehen wir uns, wartend auf den Tod, der letztlich uns allen blüht, wie viel wir auch dagegen anarbeiten, anbauen, ankonsumieren, anlieben, anoptimieren, antrainieren. Eine Leerstelle, die sich umso schärfer konturiert, wenn uns die Ersatzleistungen verwehrt bleiben: Mit den Geschäften, schließt der Sinn.
Da scheint es sogar für dogmatische Atheist*innen tröstlich, dass ein Leben nach dem Tod noch nicht widerlegt oder der Tod nach dem Tod noch keine Tatsache ist und nicht allein die Dichter*innen an dem schönen Wort Seele festhalten. Wobei übrigens die Poesie dem Trost noch gewachsen scheint, erst recht und vielleicht nur, wo sie untröstlich ist. In der Poesie ist unser Sterben, ist unser Leid gut aufgehoben. Sie bietet keine Vertröstungen, keine wohlfeile Arznei, vor der Dürrenmatt so grauste, vielleicht kann sie nur der Trostlosigkeit zum Ausdruck verhelfen. Die Trauer, der wir uns bereits entwöhnt haben, beredet machen, wo wir nicht weiterwissen und vergeblich, wie einst Ackermann mit dem Tod in den Rechtsstreit treten, wohlwissend, dass wir verlieren müssen.
„Unsere menschliche Verwandtschaft mit den Psalmisten zu spüren, mit Hiob, mit dem Paulus des Briefs an die Korinther, mit Boethius, Dante, Montaigne, Shakespeare und Cervantes, dieses Gefühl in der Musik von Bach oder Mahler zu erleben heißt, die Bestärkung zu erfahren, die im Kern des Trostes steckt – das Gefühl, dass wir nicht allein sind, im Stich gelassen mit einem Elend, das nur wir selbst empfinden. Die alten Texte können uns helfen, Worte für das Unaussprechliche zu finden, für Erfahrungen der Isolation, die uns im Schweigen einzuschließen scheinen.
Trost ist ein Akt der Solidarität im Raum – indem wir den Hinterbliebenen Gesellschaft leisten, aber auch ein Akt der Solidarität in der Zeit, indem wir uns die Fähigkeit bewahren, die von den Toten hinterlassenen Worte zu hören und zu verstehen. (…) Für Primo Levi waren Dantes Worte wie ein Donnerschlag, der die Erlösung aus der Hölle von Auschwitz versprach, eines Tages, irgendwie. So funktioniert die Sprache des Trostes, von Boethius zu Dante, von Dante zu Primo Levi: Menschen in äußerster Not, die sich über mehr als ein Jahrtausend hinweg voneinander inspirieren lassen. Diese zeitübergreifende Solidarität mag die tröstlichste von allen sein, da sie eine unauslöschliche Überzeugung von der letztlichen Sinnhaftigkeit menschlichen Verhaltens zum Ausdruck bringt – das Leiden wird erinnert und ist nicht umsonst.“ Michael Ignatieff
Wer diese poetische Kapriole als metaphysischen, gar esoterischen Verdachtsfall einstuft, einen Taschenspielertrick erkennen will, mit dem wir der Faktizität elender Sterblichkeit vergeblich zu entrinnen suchen, dem sei Hannah Arendt einmal mehr anempfohlen: Das Hauptmerkmal des menschlichen Lebens […], besteht darin, daß es selbst aus Ereignissen sich gleichsam zusammensetzt, die am Ende als eine Geschichte erzählt werden können, die Lebensgeschichte, die jedem menschlichen Leben zukommen, und die, wenn sie aufgezeichnet, also in eine Bio-graphie verdinglicht wird, als ein Weltding weiter bestehen kann.
Im Augenblick der Niederschrift, zählen wir bereits über 73.161 Untröstliche, die ihre Toten beklagen, die über 73.161 x 1 Leid haben und vorgestanzte Kondolenzsalven erhalten. Die ihre Toten im kleinsten Kreise oder allein begruben, die ihrerseits, nach der Beerdigung, wieder in die Alleinsamkeit entlassen werden und auf einen Trost hoffen, der zumeist nur ein Pflaster für eine überdimensionierte Wunde ist. Die nichts hören wollen von der Zeit und ihrer Wundheilung (da hatte sich selbst Seneca in seinen Trostbriefen vergriffen). Denn die Zeit heilt so gut wie Globuli, sie vergeht und mit ihr manche Erinnerung, wenn schon, so heilt das Vergessen, das aber nicht heilt, sondern nur Vergessen macht wie Globuli. Aber auch das Vergessen will oder muss manchmal misslingen, dann bleibt 1 Leid, bleibt der Tod und ruft sogar die Lebenden zu sich, ruft solange, bis sie folgen. Folge leisten müssen. Manche Verluste sind schlicht nicht zu verschmerzen. Wie denn auch, wo der Tod ein sinnloser ist: 1 Unglück es ist 1 Unglück, ich schreie.
„Beim ersten Gespräch musst du nicht viel sagen: Ein kurzes „Es tut mir leid“, gefolgt von einem positiven Kommentar über den Verstorbenen ist gewöhnlich am besten.“ Ja, Wicki-How, merci, ein kurzes „Es tut mir leid“, ist sicherlich am Besten. Aber wer spricht denn da eigentlich, wem tut was überhaupt warum leid. Trägt der / die Beileidsbekundler*in etwa Mitschuld am Tod. Nein, meine Freund*innen des Trostes, mit „Es tut mir leid“ ist nur sehr bedingt geholfen. Dann lieber in Anwesenheit der Hinter- der Zurückgebliebenen Schweigen und die Hand zum Halt anbieten, was dem Tod schon sehr viel angemessener ist, auch dem Trost, der aktiven Tröstung.
So haben wir den Trost wahrscheinlich (hoffentlich) erfahren, kindlich. Ich erinnere mich kaum an meine ersten, frühen Tröstungen, ich weiß sie waren mütterlicher, waren händischer Natur, gegen die handgreiflich väterlichen Nötigungen kontrapunktisch streng gesetzt. Ihr Arme verteilt meine Mutter noch heute, als besäße sie diese im Dutzend, so wird bei uns landläufig getröstet: Wir legen unsere Arme und Hände auf. Wir weinen, wenn es nichts mehr zu sagen gibt. Wir lassen die Zeit in den Urnen. Aber auch das Schweigen ist letztlich eine unbeholfene Zuflucht. Wir haben das Vokabular des Trostes gänzlich verloren oder vergessen. Offenkundig ist, dass wir nichts mehr zu sagen wissen, angesichts des Unausweichlichen, der Tatsache: Tod, sind wir außer Sprache gesetzt und untröstlich.
(nh)